Die Zugspitze, der höchste Berg Deutschlands. Diesen zu erklimmen, ist für viele Wanderer wohl ein lang gehegter Traum. Dieses Abenteuer mit Kindern zu unternehmen, ist wohl kaum möglich. Oder doch? Ich freue mich sehr, dass sich Die Nordlichtfamilie bereit erklärt hat, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen und diesen Gastbeitrag verfasst hat. Viel Spaß beim Lesen.
Inhalt
Familienexpedition Zugspitze
Eine kurze Verschnaufpause. Einmal zu Atem kommen. Zu unserer Linken eine schroffe Felswand, in der ein Drahtseil zur Sicherung befestigt ist. Zu unserer Rechten geht es mehrere hundert Meter steil nach unten. Die Aussicht ist atemberaubend, doch unsere Blicke sind nach oben gerichtet. Das Münchener Haus ist schon zum Greifen nahe. Langsam spüren wir die Anstrengungen der letzten drei Tage. Die 25 kg auf dem Rücken folgen gnadenlos dem Gesetz der Schwerkraft. Plötzlich greifen von hinten aus der Kinderkraxe zwei kleine Hände an Michi’s Ohren und Thalea sagt mit liebevoller Stimme: „Keine Angst Papa. Ich halte dich fest. Du kannst nicht runterfallen. Gemeinsam schaffen wir das!“
GEMEINSAM SCHAFFEN WIR DAS wurde in den letzten Tagen zu unserem Familienmotto.

Alles auf Anfang
Doch von vorn… Was um alles in der Welt bringt junge und verantwortungsbewusste Eltern (die wir ja sind) dazu, mit zwei wirklich kleinen Kindern die Zugspitze zu erklimmen?
Es ist April 2019
Unser letztes größeres Abenteuer in der Natur liegt schon über ein halbes Jahr zurück. Damals sind wir mit Thalea in Norwegen auf den Gaustatoppen (1.883 m) geklettert. In der Zwischenzeit ist unser Sohn Thore geboren. Er ist vier Monate alt und kann weder sitzen noch krabbeln. Nach zwei Monaten gemeinsamer Elternzeit hat uns der „Alltag“ wieder. Wir wünschen uns mehr Familienzeit und spüren, dass eine gemeinsame Herausforderung das Richtige wäre. Etwas, das uns körperlich sowie geistig fordert. Etwas, das uns eine unvergessliche Zeit und ein atemberaubendes Abenteuer ermöglicht. Und etwas, das wir noch nie zuvor gemacht haben.
„Warum klettern wir nicht auf den höchsten Punkt Deutschlands?“ fragt Michi eines Abends, während er im Rahmen unserer Wohnzimmertür lehnt. „Da waren wir noch nie“. Wir sprechen über die Zugspitze. „Was ist die Zugspitze?“ fragt Thalea. Wir erklären ihr, dass das der höchste Berg in unserem Land ist, dass man sehr weit laufen und ganz hoch klettern muss und dass dort selbst im Sommer an einigen Stellen noch Schnee liegt. Thalea ist sofort Feuer und Flamme. Fortan will sie um jeden Preis auf den „großen hohen Schneeberg“, wie sie ihn liebevoll nennt.
Was für uns eben noch wie eine Flitzidee klang, fängt an, in uns zu arbeiten. Der Gedanke lässt uns nicht mehr los. Jeden Abend reden wir darüber. Am Tage schreiben wir uns Nachrichten wie „Wenn wir das wirklich machen wollen, müssen wir das und das noch bedenken…“. Wir bewegen uns immer tiefer in dieses Abenteuer hinein und ehe wir uns versehen, wird aus der anfänglichen Flitzidee ein konkreter Plan. Wir wollen das Abenteuer noch 2019 erleben.
Es ist Mai 2019
Wir sind voller Euphorie. Wir haben keine Ahnung, was noch alles an Arbeit, Zweifeln, Anstrengungen, und Rückschlägen auf uns wartet. Doch wir sind infiziert mit dem Virus ‚Zugspitze‘. Ragna hat angefangen, sich um die Route zu kümmern. Sie recherchiert, welche Strecke für uns die Beste ist, in wie vielen Tagen wir es nach oben schaffen können und wo wir übernachten werden. Michi macht sich indessen Gedanken darüber, welches Equipment wir für den Aufstieg benötigen.
Ragna kennt schon bald jeden Reiseführer, jedes youtube-Video und jeden Blog-Artikel zur Zugspitze auswendig. Jedoch geben alle diese Artikel und Videos wenig bis gar keinen Aufschluss darüber, ob und wie man das Ganze MIT ZWEI KLEINEN KINDERN meistert. Wir fühlen uns wie Pioniere, was unseren Ehrgeiz nur noch mehr befeuert. Michi wühlt sich durch alle möglichen Vergleichsportale und lernt vieles über Kletterausrüstung, geeignete Kinderkraxen und Outdoorbekleidung. Wir lernen viel zum Thema Höhenkrankheit – insbesondere bei Kindern. Außerdem fangen wir an, intensiv zu trainieren und uns körperlich vorzubereiten. Neben Joggen und Kraftsport sind wir jeden Samstag ca. 20 Kilometer mit den Kindern wandern.

Uns ist dabei enorm wichtig, es für die Kinder so spaßig und ungezwungen wie möglich zu gestalten. Das bedeutet allerdings, richtig Tempo zu machen, sobald Thalea in der Kraxe sitzt. Thore kann noch immer nicht sitzen, weshalb Ragna ihn in einem Tragesystem vor ihren Bauch schnallt. Auf diesen Touren testen wir unterschiedliche Snacks für die Kinder und für uns, da Essen eine wichtige Rolle spielt.
Am seidenen Faden
Wir wissen, dass so ein Abenteuer auch mit einem gewissen Risiko verbunden ist und wir nichts dem Zufall überlassen werden. Alles, was wir beeinflussen können, wollen wir auch beeinflussen. Wir spüren, dass es kein unmögliches Unterfangen ist, sofern wir wirklich alles geben und uns akribisch vorbereiten. Wir sollen jedoch bald lernen, dass es mehrere Variablen gibt, auf die wir überhaupt keinen Einfluss nehmen können.
Es ist Anfang September 2019
Schlaflose Nächte, in denen wir recherchiert und weiter geplant haben, liegen hinter uns. Wir sind bereits sehr viel als Familie gewandert. Eine unserer ersten Touren zur Vorbereitung führte uns vor einigen Monaten ins Elbsandsteingebirge. Unsere letzte Tour vor der Zugspitze wollen wir im Harz durchführen. Erstmals unter „realen“ Bedingungen. Hoffentlich.
Thore tragen wir bis jetzt noch immer in der Bauchtrage. Wir wissen, dass wir die Tour auf die Zugspitze so nicht gehen werden. Geröllfeld und Klettersteig kommen für uns mit Baby auf dem Bauch nicht in Frage. Zu gefährlich. Um für Thore eine Kraxe zu nutzen, muss er selbständig und stabil sitzen können, doch er macht noch so gar keine Anstalten.
Alles hängt also an diesem Knirps. Wir wollen Ende September auf die Zugspitze. Später geht es nicht wegen des Wetters und dann wäre es erst wieder im nächsten Jahr möglich. Und da ist fraglich, ob Thalea noch in die Kraxe passt. Wir haben also nur dieses Zeitfenster. Die Anspannung steigt mit jedem Tag. Doch dann, von einem auf den anderen Tag, entscheidet Thore sich, dass so ein Abenteuer doch ganz cool wäre. Er sitzt. Wir beobachten das 2 Wochen lang und gehen dann sicherheitshalber mit ihm zur Kinderärztin. Als sie ihn untersucht, erzählen wir ihr, was wir vorhaben und sie gibt uns grünes Licht. Ein Stein fällt uns vom Herzen, so laut, dass man es sicherlich noch in den Alpen hören konnte.
Nur zwei Tage später sind wir auf dem Weg in den Harz zu unserer „Feuerprobe“. Wir wissen, dass es nicht vergleichbar mit der Zugspitze ist, doch wir fühlen uns insgesamt gut genug vorbereitet.

Zugspitze mit Kindern – doch nicht möglich?
Es ist Mitte September 2019
Trotz aller Recherchen und aller Zeit, die wir in die Vorbereitung investiert haben, ist uns ein kleines, aber wichtiges Detail irgendwie untergegangen. Auf dem Weg zum Gipfel gibt es keine Möglichkeit, Müll zu entsorgen. Wir waren fest davon ausgegangen, dass wir die Windeln in den Berghütten entsorgen könnten, in denen wir übernachten. Dem ist nicht so.
Kurz vor unserer Abreise nach Bayern reißt uns diese Information total von den Füßen.
Als Erwachsener kann man das Papier seines Power-Riegels und das Taschentuch (sofern man denn kein Stofftaschentuch hat) noch gemütlich in irgendwelchen Ritzen seines Rucksacks verschwinden lassen. Aber volle Windeln von drei Tagen lassen sich dann nicht mehr ganz so gut in den Ritzen unserer Kinderkraxen verstauen. Zumal die ohnehin schon bis an die Belastungsgrenze vollgepackt sind. Und ganz allmählich dämmert es uns, warum wir keine Informationen darüber gefunden haben, wie man mit Baby auf die Zugspitze wandern kann. Es macht schlicht und einfach so gut wie keiner.
Da sitzen wir nun, wenige Tage vor der Abreise und zweifeln unser gesamtes Vorhaben an. Wir überlegen hin und her, wie wir es trotzdem schaffen können. Wir grübeln und rätseln. Am Ende macht die Idee, einen Dry-Bag zu nutzen, das Rennen. Außen an die Kraxe gebammelt ist es einfach, pragmatisch und zielführend. Das Abenteuer kann beginnen. Naja fast – wäre da nicht die Wettervorhersage…
Es geht los
Schnee und Eisregen sind für unser Zeitfenster angesagt. Jeden Tag checken wir das Wetter und die Vorhersage bleibt mies. Wir sehen unsere Chancen schwinden. Bei Eis und Regen werden wir nicht mit Kindern auf die Zugspitze wandern. Wir entscheiden uns, trotzdem nach Bayern zu fahren und unser Glück herauszufordern. Und mit jedem Tag, den unser Aufstieg näher rückt, werden die Prognosen besser. Also fahren wir am geplanten Morgen noch im Dunkeln nach Garmisch-Partenkirchen zum Ski-Stadion. Als es hell wird, schnallen wir die Kraxen auf den Rücken und wandern los in Richtung Partnachklamm.
Es ist atemberaubend. Die Wasserfälle und Felsformationen flößen uns eine gewisse Ehrfurcht ein. Das Wetter wird besser und besser. Nach der Klamm schlängelt der Weg sich entlang der Partnach. Thalea kann hier viel alleine laufen, Thore genießt die Aussicht von der Kraxe aus. Wir freuen uns über die Natur und entdecken zusammen so viel Schönes. Ist Thalea erschöpft, ruht sie sich in der Kraxe aus. Der Weg ist nicht besonders steil, aber mit ca. 25 kg auf dem Rücken ist es auf die Länge doch sehr anstrengend. Erschöpft und beeindruckt zugleich kommen wir am Abend an der Reintalangerhütte an, in unserem ersten Quartier. Nach einer warmen Dusche und einer warmen Mahlzeit geht es auch schon ab ins Bett.

Sonne statt Schneeregen
Am nächsten Morgen holt Michi seine Anziehsachen aus dem Trockenraum und stellt fest, dass seine Sachen noch nass sind. Kein optimaler Start, aber wir machen das Beste draus. Nach dem rustikalen Frühstück geht es los in Richtung Knorrhütte. Thalea will wieder viel selber laufen. Wir leinen sie dabei an, da es ab jetzt sehr steil wird. Gemeinsam kämpfen wir uns Schritt für Schritt den Hang hoch. Die Sonne scheint und wir kommen richtig ins Schwitzen. Schneeregen? Fehlanzeige. Das Gelände wird immer schroffer. Wir erreichen die Baumgrenze und dann, nach einem sehr anstrengenden Streckenabschnitt, gegen 15.00 Uhr endlich die Knorrhütte. Wir erholen uns auf den Bänken im Außenbereich, während die Sonne unsere nassen Sachen trocknet. Die Kraxen abzusetzen ist eine Wohltat.
Die Stimmung bei uns ist super, da wir in der Knorrhütte ein wunderschönes kleines Lager bekommen. Wir gönnen uns Kaiserschmarrn und Skiwasser. Am Abend bringen wir zuerst die Kinder ins Bett, dann wollen wir duschen gehen. Leider gibt es nur noch (eis)kaltes Wasser direkt von draußen, weshalb wir kurz vor dem Schlafengehen nochmal so richtig wach werden. Jetzt sind wir abgehärtet für kommende Winterabenteuer 😉
Die letzte Etappe
Am nächsten Morgen starten wir schon sehr früh und sind die Ersten beim Frühstück. Wir wissen, dass wir langsamer sind als alle anderen und dass wir bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf dem Gipfel sein müssen, damit wir die letzte Gondel zurück ins Tal bekommen.
Die letzte Etappe wird uns nochmal alles abverlangen. Hier wird sich zeigen, wie wichtig unser Training war.
Es ist noch fast dunkel als wir aufbrechen und immer weiter nach oben gehen. Einen Fuß vor den anderen. Wir sind euphorisch und völlig überwältigt von der atemberaubenden Natur um uns herum. Schon bald verschwindet die Knorrhütte in der Ferne. Über Schneefelder geht es zum Fuß des Geröllfelds. ‚Wenn du an der Station Sonn-Alpin erschöpft bist, solltest du das letzte Stück rauf unbedingt die Gondel nehmen‘ hieß es immer wieder im Internet.
Vertrauen in uns
Da stehen wir nun. Wir fühlen uns nicht wahnsinnig erschöpft, aber wir sehen Leute am Geröllfeld rutschen und es wirkt extrem steil. Eine ganze Stunde lang verweilen wir am Fuße dieses Feldes, ringen mit uns. Wir wissen, dass sich weiter oben direkt ein Klettersteig anschließt, der bis rauf zum Gipfel führt. Ab dem Geröllfeld können die Kinder nicht mehr aus den Kraxen. Was ist, wenn Thalea auf Toilette muss? Was ist, wenn die Kinder höhenkrank werden? Wenn Thore ausrastet, weil er nicht aussteigen darf? Was ist, wenn unsere Kräfte ganz einfach nicht bis nach oben reichen?
Und plötzlich wächst unser Vertrauen. Wir haben uns akribisch vorbereitet, auch mit unseren Kindern. Nicht, um nur bis hier her zu kommen, sondern für genau das, was vor uns liegt. Thalea wollte von der ersten Idee an auf den „großen hohen Schneeberg“ klettern. Das ist unsere Herausforderung, die wir im April 2019 gesucht haben. Das ist unser Moment. Wir entscheiden uns. Wir packen die Kinder ein und gehen los. Langsam. Sehr langsam. Wir lehnen uns weit in den Berg. Die Kraxen zerren uns nach unten. Und doch geht es weiter, immer weiter.
Endspurt Zugspitze
Der größte Teil des Klettersteigs liegt nun hinter uns und wir sind fast da. Die Beine brennen, doch das harte Training zahlt sich aus. Thalea ruft laut „FEUER FEUER“, was ihre süße Art ist, uns anzufeuern. Ihre Hände halten noch immer Michi’s Ohren fest und es geht weiter. Nur noch ein paar Windungen, ein paar Schritte. Wir kämpfen uns die letzten Meter nach oben und dann… stehen wir auf dem Dach Deutschlands.
In diesem Augenblick haben wir alle Antworten auf unsere Fragen: Wird das Wetter halten? Werden die Kinder das mitmachen? Haben wir genug Essen mit? Sind die Kinder warm genug angezogen und werden wir alle vollen Windeln mit nach oben tragen können?
Ja, ja und nochmals ja. Wir haben es geschafft. Thalea tanzt oben vor Freude, während wir noch gar nicht richtig fassen können, was da gerade passiert ist. Das Herz schlägt uns bis zum Hals und Tränen laufen uns die Wangen runter. So viel Zeit, so viel Vorbereitung steckte in diesem Abenteuer. So viel Schweiß und ja, auch ein bisschen Blut.

Und jetzt…?
Was haben wir von unserem Abenteuer zur Zugspitze mitgenommen? Was hat diese Erfahrung mit uns gemacht?
Dieses außergewöhnliche Abenteuer mit zwei so kleinen Kindern hat unsere Idee vom Leben komplett verändert und wir haben gespürt, dass das Leben noch viel mehr für uns bereithält. Die gemeinsame Zeit in dieser atemberaubenden Natur hat uns sehr berührt. Gemeinsam zu kämpfen, um unser Ziel zu erreichen, hat uns noch mehr zusammengeschweißt und unsere Bindung zueinander ist noch tiefer geworden.
Und auf einmal ist der Wunsch unserer Tochter – nämlich Abenteurerin zu werden – auch unser Wunsch geworden.
Durch dieses Abenteuer sind wir eine andere Familie geworden. Stärker. Wir wissen, dass wir gemeinsam noch viel mehr schaffen können. Und selbst, wenn unsere Kinder sich später nicht mehr an jedes Detail erinnern, ist dennoch dieses Wissen und dieses Vertrauen tief in ihren Seelen verankert.

Liebe Ragna, lieber Michi, ich danke euch von Herzen, dass ihr eure Erfahrungen zum Zugspitzen-Abenteuer mit uns geteilt habt. Wer mehr von den Abenteuern der Nordlichfamilie haben möchte, schaut gerne mal auf ihrer Instagram-Seite vorbei und lässt ein Herz da:
https://www.instagram.com/dienordlichtfamilie/
Text und Fotos: Die Nordlichtfamilie
Nichts beeindruckt mich mehr, als Eltern, die mit ihren Kindern Abenteuer erleben 👌🏼
Bitte mehr davon!!!!
Oh ja, das stimmt. Allerdings bin ich selbst nicht so mutig 😅